"Öffentlich Weiblich" - DDR-Kulturpolitik und Weiblichkeit in der Öffentlichkeit
Diese Kunsttour führt durch die Berliner Bezirke Niederschönhausen, Pankow, Prenzlauer Berg, Lichtenberg und Friedrichsfelde entlang sehenswerter Orte und Kunstwerke im öffentlichen Raum. Der Fokus dieser Tour liegt auf der Darstellung von „Weiblichkeit“, die eine besondere Aufmerksamkeit in der Bildhauerkunst der DDR verdient.
Die zu DDR Zeiten gesetzlich festgeschriebene und allseits propagierte Gleichberechtigung von Frauen in Familie und Beruf spiegelte sich folglich auch in der Bildenden Kunst und ebenso in den Persönlichkeiten von Künstlerinnen wieder. Ausgehend vom großen sozialistischen Vorbild der DDR – die Sowjetunion, – wurden in den späten 1940er- und in den 1950er-Jahren teils symbolisch überhöhte Gesellschaftsbilder von Trümmerfrauen, Bäuerinnen, Arbeiterinnen oder Mutterfiguren in Bronze gegossen oder in Stein gehauen. In den darauffolgenden Jahrzehnten und bis in die 1980er-Jahre hinein prägten dann alltagstauglichere und weniger strenge Darstellungen wie Mutter-Kind-Gruppen, Sportlerinnen oder Frauenakte das Bild von Straßen, Plätzen und Parkanlagen. Dabei gab es unterschiedliche stilistische Ausprägungen, die man in dieser Tour entdecken kann.
Station 1: Mutter Heimat, Künstler: Iwan Gawrilowitsch Perschudtschew (1915–1987)
Standort: Sowjetisches Ehrenmal Schönholzer Heide, "Mutter Heimat", Künstler: Iwan Gawrilowitsch Perschudtschew (1915–1987), Datierung: 1947–1949, Material: Bronze
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde auf Initiative der sowjetischen Militärverwaltung das Ehrenmal für die im Kampf um Berlin gefallenen Sowjetsoldaten errichtet. „Mutter Heimat“ ist ein typisches Motiv in der Denkmalkultur der Sowjetunion. Die dargestellten Mutterfiguren symbolisieren die Liebe zum Heimatland und stehen stellvertretend für alle Mütter, die um ihre im Zweiten Weltkrieg gefallenen Söhne trauern. Die „Mutter Heimat“ steht hinter einem vor ihr aufgebahrten, toten Soldaten auf einem massiven, kubischen Sockel. Sie trägt ein traditionell geschnittenes, langes, faltenreiches Kleid. Über ihren Schultern und Armen liegt ein gemustertes Tuch. Mit ihrer rechten Hand berührt sie einen großen Lorbeerkranz. Mit ihrer linken Hand hält sie die Fahne der UdSSR, die als Totentuch den Leichnam ihres Sohnes bedeckt. Das Gesicht der Mutter zeigt sich müde, aber gefasst. Sowohl die realistische Darstellungsweise als auch die bauliche und symbolische Überhöhung sind typische Stilmittel des sogenannten Sozialistischen Realismus. Das Thema „Heimat“ avancierte dabei zum eigenständigen Sujet in der Kunst vieler osteuropäischer Staaten. Die der „Mutter Heimat“ zugeschriebenen Tugenden wie Stärke und Liebe, vor allem aber der Darstellungstypus erinnern an ein zentrales Motiv der christlichen Ikonografie: die Pietà. Die „Mutter Heimat“ vertritt also traditionelle, christliche Werte. Ihre wehrhaft wirkende Weiblichkeit, die sich hinter dem Kleid verbirgt, steht hingegen in der Tradition antikisierender Allegorie-Darstellungen antiker Göttinnen. Auch hier bei Perschudschew’s Werk wird mit der unter dem Tod des Sohnes zwar leidenden, aber Gefasstheit und Stärke ausstrahlenden Mutter ein heroisches Frauenbild geschaffen.
Station 2: Sitzende/Kauernde, Künstler: Rolf Winkler (1930–2001)
Standort: Hermann-Hesse-Straße 18/Güllweg, Grünfläche, "Sitzende/Kauernde", Künstler: Rolf Winkler (1930–2001), Datierung: 1983, Aufstellung: 1985, Material: Beton
Auf einer Wiese nördlich des Schlossparks Niederschönhausen befindet sich die „Sitzende/Kauernde“ von Rolf Winkler. Die Frau hockt mit weit nach vorn gebeugtem Oberkörper auf einem Steinquader. Arme und Beine sind angewinkelt und eng an den Körper herangezogen. Den Kopf hat sie zur Seite gedreht, ihre rechte Gesichtshälfte ruht auf den Knien. Auf den ersten Blick ist nicht ersichtlich, ob sich die Frau zum Beispiel vor Schmerz krümmt. Doch das Gesicht wirkt entspannt. Augen und Mund sind geschlossen. Das schulterlange Haar ällt seitlich herab und gibt den langen Nacken frei. Interessant ist es, das Formenspiel der Plastik zu ergründen. Die geschlossene, in sich ruhende Form des Körpers erinnert an ein Oval. Der große konvexe Bogen des Rückens steht hierbei im spannungsvollen Kontrast zu den angewinkelten Armen und Beinen. Darin zeigt sich Winklers bildhauerischer Umgang mit den Gegensätzen von Ruhe und Spannung, von konkav und konvex sowie mit den geometrischen Formen Dreieck und Oval. Die der Plastik zugrunde liegende Eiform kann als Ursprung bildhauerischer Formen und das Ei als Symbol für den Ursprung des Lebens gesehen werden. Somit wird das der kauernden Frau innewohnende Leben zum Ideal erklärt.
Der Bildhauer und Grafiker Rolf Winkler gehört zu den Künstlern der zweiten Bildhauergeneration in der DDR, die noch am Vorbild ihrer Lehrer und deren Orientierung auf die realistische, deutsche Plastik festhielten. Winkler hat nach einer Lehre als Steinbildhauer in Dresden an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee bei Heinrich Drake studiert. Er kam somit in Kontakt mit einem wichtigen Verfechter der realistischen Bildhauerkunst der DDR. Winkler entwickelte aber eine modifizierte künstlerische Sprache. Die Betonplastik stellt keinen typischen Frauenakt dar, der idealisiert und wohlwollend den Betrachtenden
entgegentritt. Winkler zeigt uns einen zurückhaltenden Frauenakt, bei dem der Umgang mit Formen und Gegensätzen im Vordergrund steht.
Station 3: Drei Frauen, Künstlerin: Carin Kreuzberg (*1935)
Standort: Grünanlage Elisabethweg/Ossietzkystraße, "Drei Frauen", Künstlerin: Carin Kreuzberg (*1935), Datierung: 1979, Aufstellung: 1993, Material: Bronze
Drei Frauen stehen einander zugewandt und sind im stillen Dialog miteinander verbunden. Von ihren hochgewachsenen, grazilen Gestalten geht eine innere Ruhe und Spiritualität aus. Die Konturen der Plastiken sind fließend, und zusammen mit den geglätteten, gestrafften Oberflächen unterstützen sie das ebenmäßige Gleiten der auf Vertikalität ausgerichteten Formgebung. Bei längerer Betrachtung offenbaren sich feine Unterschiede zwischen den Figuren. Nur verhalten zeigt sich das Lächeln der einen Frau im Kreise. Sie öffnet sich den anderen gegenüber, indem sie die Arme ausbreitet und ihre Handflächen zeigt. Sie steht mit beiden Beinen fest auf dem Boden – die gleichmäßige Gewichtsverlagerung der zwei Körperhälften auf die stützenden Gliedmaßen. Im Gegensatz dazu deutet sich bei den zwei anderen Frauen ein leichter Kontrapost an – das Gegeneinandersetzen der Körperhälften durch Gewichtsverlagerung auf Stand- und Spielbein. Um Bewegung und Lebendigkeit zu suggerieren, liegen ihre Arme abwechselnd hinter dem Rücken und auf der Körpervorderseite. Die zwei anderen Frauen haben ihren Blick leicht gesenkt. Zwischen den drei Frauen entspinnt sich so eine dezente Dynamik, welche sich im sensiblen Wechselspiel der Gesten äußert.
Kreuzberg studierte Bildhauerei bei Walter Arnold und Heinrich Drake – Verfechter der sogenannten Ausdrucksplastik und bedeutende Vertreter des Realismus in der Bildenden Kunst der DDR. Sie orientiert sich an ihren Vorbildern und reduziert Ausdrucksformen zu einer wortkargeren Formensprache, jedoch erinnern die Körperhaltung, die Positionierung der Beine im Rockgewand und Fußstellung auch an Frauendarstellungen in der ägyptischen Kunst. Zurückhaltende Mimik und Gestik, die kraftvolle Schlichtheit und die Geschlossenheit der Komposition zitieren Merkmale von Skulpturen der griechischen
Archaik und Frühklassik. In Kreuzbergs Figurengruppe kann man außerdem ein bekanntes Vorbild aus der griechischen und römischen Mythologie erkennen: die „Drei Grazien“ – ein gängiges Sujet in der Malerei und Bildhauerei. Doch zeigt Kreuzbergs Plastik ein anderes Verständnis von Weiblichkeit in der Öffentlichkeit: das von in sich ruhenden, fast spirituell geerdeten und doch dynamisch wirkenden Frauen.
Station 4: Mutter mit Kind, KünstlerIn: unbekannt
Standort: Leonhard-Frank-Straße, Bürgerpark Pankow, "Mutter mit Kind", KünstlerIn: unbekannt, Datierung: 1984, Material: Sandstein
Entspannt liegen Mutter und Kind auf dem Rasen des Bürgerparks Pankow. Der Park ist seit 1907 ein beliebtes Ausflugsziel. Ab den 1950er-Jahren sind im Park Skulpturen und Plastiken aufgestellt worden. Diese vermitteln einen kleinen Überblick über die Bildhauerkunst der DDR und auch der Nachwendezeit. Die Skulptur stellt einen traditionellen Körperzustand in der Bildhauerei dar: liegen. An diesem können Künstler*innen die menschliche Physiognomie studieren und mit ihm beispielsweise Erdverbundenheit ausdrücken. Hier steht jedoch vor allem die innige Beziehung zwischen Mutter und Kind im Fokus. Der Kopf der Mutter ist auf das Mädchen gerichtet. Vielleicht ist es der Moment des Innehaltens oder eines Gesprächs zwischen den beiden. Während sich die Unterarme der Mutter am Boden abstützen, bilden ihre aufgestellten Beine den Rückhalt für das Kind. Bei längerem Hinschauen glaubt man zu erkennen, wie die Mutter das Kind hin- und herwiegt. Die Ausarbeitung der Köpfe, ihre Gegenüberstellung und der Blickkontakt zwischen ihnen erüllen den dazwischen liegenden, leeren Raum mit Spannung. Zugleich geht von der Skulptur Ruhe und Schwere aus. Die erkennbare Blockhaftigkeit und die stilisierten, grob ausgearbeiteten Gliedmaßen lassen uns nachvollziehen, wie die Figuren aus dem Steinblock geschlagen wurden. Der poröse Sandstein prägt die Ober äche der Skulptur und verstärkt noch diesen Eindruck. „Mutter mit Kind“ entstand in einer Zeit, in der Künstler*innen ihre Werke viel freier ausühren konnten, als noch wenige Jahrzehnte zuvor. Kubische oder voluminöse Ausdrucksformen lösten die in den 1950er- und 1960er-Jahren von der Kulturpolitik vorgegebene, realistische Gestaltungsweise ab. Thematisch wird hier die Mutter-Kind-Beziehung bearbeitet, welche typisch für die Bildhauerkunst in der DDR ist und vor allem für die Ausgestaltung von Parks, Grünanlagen oder Fußgängerzonen eingesetzt wurde. Darin zeigt sich ein in der DDR vorherrschendes und gesellschaftlich anerkanntes Erziehungsmodell, bei dem sich Mütter neben ihrer Arbeit um die Kindeserziehung und Familie kümmerten.
Station 5: Berliner Mädchen, Künstler: Gerhard Rommel (1934–2014)
Standort: Heinz-Knobloch-Platz, Grünanlage, "Berliner Mädchen", Künstler: Gerhard Rommel (1934–2014), Datierung: 1961, Material: Bronze
Eine „Berliner Göre“ ist bekanntermaßen frech und schlagfertig. So wirkt auch Rommels „Berliner Mädchen“: selbstbewusst und mit beiden Beinen fest auf dem Boden stehend schaut sie herausfordernd in die Ferne. Um sich einen besseren Überblick zu verschaffen, hat das Mädchen den Kopf leicht erhoben und die Hand an die Stirn gelegt. Die Haare sind zu zwei buschigen Zöpfen gebunden und auch die Stupsnase unterstreicht den mädchenhaften Charakter. Die rechte Hand hat sie lässig in die Hosentasche gesteckt. Ihr forsches und selbstbewusstes Auftreten zeigt sich auch in ihrer Kleidung: Unter dem dünnen Hemd und der engen Hose zeichnet sich ihr jugendlicher, schlanker Körper ab. Der leicht gebogene Rücken und der herausgestreckte rundliche Bauch unterstreichen ihren Habitus. Vielleicht sucht sie nach ihrer Verabredung in der Weite des Parks – wer sie dabei stört oder von der Seite anzusprechen wagt, wird sich wohl eines Besseren belehren lassen müssen.
Rommel hat ein charmantes und charakteristisches Porträt eines Berliner Mädchens geschaffen. Die Bronzeplastik wurde 1962 in der Grünanlage aufgestellt, die 2005 nach dem zwei Jahre zuvor verstorbenen Schriftsteller und Feuilletonisten Heinz Knobloch benannt wurde, der in der angrenzenden Masurenstraße gewohnt hat. In der realistischen Darstellungsweise der Plastik zeigen sich Einflüsse von Fritz Cremer und Heinrich Drake, bei denen Rommel in den 1950er- und 1960er-Jahren in Berlin seine Ausbildung als Bildhauer genoss. Beide Künstler waren bedeutende Vertreter des Realismus und hinterließen ihre Spuren im Werk ihres Schülers. Die vom Künstler dargestellte Weiblichkeit äußert sich in einem selbstbewusst auftretenden, jugendlich-frechen, aber auch charmanten Mädchen, welches den Blick auch im übertragenen Sinne in die Zukunft richtet. Rommel hat zwar eine Alltagsszene geschaffen, wie sie für Grünanlagen oder Fußgängerbereiche typisch war. Doch zeugt die Art und Weise von einem relativ offenen und freien Umgang der DDR-Kulturpolitik mit Frauendarstellungen im öffentlichen Raum ab den 1960er-Jahren.
Station 6: Große Badende, Künstler: Wieland Förster (*1930)
Standort: Fröbelstraße 17/Diesterwegstraße, neben Haus 2, "Große Badende", Künstler: Wieland Förster (*1930), Datierung: 1971–1973, Material: Bronze
Die „Große Badende“ nimmt keine der üblichen Positionen in der Bildhauerei wie sitzen, stehen oder liegen ein. Im Gegenteil: Die Plastik ist als Diagonale im Raum positioniert und scheint zwischen den Ebenen zu verharren. Sie beschreibt einen Zustand im Wasser zwischen Schwimmen und Treibenlassen. Beim Umschreiten der Plastik wird deutlich, wie Arme und Beine die Umgebung dynamisieren. Teils abgewinkelt, teils gestreckt stoßen sie vor und erzeugen kraftvolle Linien und geometrische Formen wie Dreiecke. Die um 90 Grad zur Seite gedrehte Taille deutet eine Drehbewegung des Körpers an. Das ausladende Becken übt hierbei eine Scharnierfunktion aus und es entsteht der Eindruck, als bestünde der Körper aus zwei zusammengesetzten, aber gegeneinander verdrehten Teilen. Gegenüber der durch Streckungen und Verwinkelungen charakterisierten Gestalt wirkt das Gesicht entspannt – der Kopf ist leicht nach hinten gebeugt, Augen und Mund sind geschlossen. Die „Große Badende“ scheint den Moment im Wasser sichtlich zu genießen.
Augenällig wirken auch die üppigen Formen im Becken- und Brustbereich. In dem Auf- und Abschwellen der Formen und Volumen offenbart sich ein von vitaler Lebensenergie bewegter Rhythmus, der zugleich die Wellenbewegungen des Wassers beim Schwimmen widerzuspiegeln scheint. Dieser Form des Modellierens des Wassers bei Wieland Förster deutet auf die sogenannte Verlandschaffung der Figur hin, die er in den 1970er-Jahren für sich entdeckt und anschließend angewendet hat. In der naturnahen Gestaltung zeigen sich auch Einflüsse von Walter Arnold und Fritz Cremer, bei denen er in den 1950er- und 1960er-Jahren Bildhauerei studiert hatte. Doch Förster kam in Konflikt mit Cremers Realismus, weil er seine Figuren zu einer raumgreifenden, dynamischen und expressiven Gestalt weiter entwickelten wollte und auch seiner eigenen Idealvorstellung von weiblicher Vitalität und Schönheit folgte. Auch wenn die Aktplastik in der Öffentlichkeit alltäglich war, wurde die „Große Badende“ als zu erotisch angesehen und stieß bereits zu DDR-Zeiten auf Kritik.
Station 7: Felicia, Künstler: József Seregi (*1939)
Standort: Anton-Saefkow-Park, nördlich Villa am Fennpfuhl (Standesamt), "Felicia", Künstler: József Seregi (*1939), Datierung: 1987, Aufstellung: 1988, Material: Reinhardtsdorfer Sandstein
Der Name Felicia stammt aus dem Lateinischen und bedeutet „die Glückliche“. Das strahlt diese Skulptur auch aus. „Felicia“ sitzt auf dem Boden und blickt uns freundlich an. Der volle Mund zeigt ein einladendes Lächeln. Am Haar mit dem gebundenen Zopf ahmen gewundene Linien die Struktur der Haare nach. Die angewinkelten Arme und Beine bilden einen spannungsvollen Kontrast zu dem runden Bogen des Rückens. Die üppigen Formen wirken in den umgebenen Raum hinein. Die Skulptur entstand im Rahmen 2. Internationalen Berliner Bildhauersymposiums 1987 im Schlosspark in Berlin-Buch unter dem Motto „Poesie der Großstadt“. „Felicia“ ist dem Zeitgeschmack entsprechend freier und in einem anderen Formverständnis gestaltet, als dies in den jungen Jahren der DDR üblich war. „Felicia“ hingegen zeigt sich in einer lebensnahen Natürlichkeit und mit üppigen Proportionen und wirkt damit auch nicht so idealisierend, wie es in der Bildhauerkunst seit der Antike zumeist angestrebt wurde. Diesen Frauenakt entwickelte Seregi aus dem Kubus heraus. Die spürbare Unbefangenheit und Naturverbundenheit verdeutlichen einen ganz besonderen Lebensgenuss, der zum gewählten Aufstellort zu passen scheint.
Station 8: Große Liegende, Künstler: Siegfried Krepp (1930–2013)
Standort: Fennpfuhlpark, nahe Eingang Landsberger Allee Ecke Weißenseeer Weg, "Große Liegende", Künstler: Siegfried Krepp (1930–2013), Datierung: 1966–1971, Material: Bronze
Die „Große Liegende“ im Fennpfuhlpark greift das Thema Freizeit auf. Die voluminös wirkende Frauengestalt rekelt sich unbefangen und genießt sichtlich die Sonne. Ihr Blick wirkt entspannt und ist in die Ferne gerichtet. Mit einem Arm stützt sie sich dabei am Boden ab, während die Hand des anderen Armes den Kopf stützt. Schon von weitem ist die fein drapierte Fältelung ihres Kleides erkennbar. Der eng anliegende Stoff lässt ihre üppigen Körperformen erkennen. Die Positionen von Waden und Arme erzeugen Dreiecke und Diagonalen, die die nahe Umgebung der Plastik dynamisieren. Krepp kombiniert dabei Elemente der klassizistischen Bildhauerkunst mit den seinerzeit in der DDR gängigen Gestaltungsprinzipien: die Dreieckskomposition, ein reichhaltig ausgeprägter Faltenwurf, die naturnahe Gestaltung von Gesicht und Körper und die leichte Übersteigerung der Volumina. Darin spiegeln sich auch bildhauerische Auffassungen von Krepps Lehrmeistern an den Kunstakademien wider, wie die von Waldemar Grzimek, Heinrich Drake oder Fritz Cremer – wichtige Vertreter der realistischen Bildhauerkunst in der DDR. Doch im Unterschied zu Frauenmotiven in der Bildhauerei der 1950er-Jahre, wo Trümmerfrauen, Aufbauhelferinnen oder Arbeiterinnen die Aufbauphase und Stärke der noch jungen DDR repräsentierten, verdeutlicht Krepps Plastik eher den Lebensgenuss und das Freizeitvergnügen der 1960er- und 1970er-Jahre. Zugleich verweist die „Große Liegende“ auf ein für die DDR-Kunst charakteristisches Frauenbild, welches durch Selbstvertrauen, Würde und Humanismus geprägt ist.
Station 9: Mädchen mit Ball, Künstlerin: zurzeit unbekannt
Standort: Stadtpark Lichtenberg, Möllendorfstraße, nahe Spielplatz, "Mädchen mit Ball", Künstlerin: zurzeit unbekannt, Datierung: um 1965, Material: Bronze
Wie eine unter ihresgleichen ragt die Bronzeplastik zwischen den hohen, schlanken Bäumen des Stadtparks Lichtenberg empor. Das Mädchen verlagert ihr Gewicht in einer Vorwärtsstellung auf das linke Bein, während sie das rechte Bein dahinter ausgestreckt hat und der Fuß nach rechts weist. In einer betonten Haltung streckt sie ihre Arme weit nach oben und balanciert scheinbar mühelos einen Ball auf ihren Fingerspitzen, den Kopf leicht nach hinten gebeugt. Ihr Blick ist fest auf den Ball gerichtet. Die Gliedmaßen sind abstrahiert dargestellt, es zeichnen sich kaum einzelne Muskeln ab. Das Gesicht ist ebenso stilisiert. Die Gestaltung der Plastik ist weniger durch eine naturalistische Nachbildung charakterisiert als vielmehr von der Momentaufnahme eines ballspielenden Mädchens inspiriert. Dynamik, betontes Aufreten und Leichtigkeit prägen diese plastische Darstellung. „Mädchen mit Ball“ entspricht dem auch kulturpolitisch geforderten Bild vom Sport treibenden Menschen in der Bildenden Kunst der DDR. Darin wird auch jenes seit der Antike existierende Ideal vermittelt, dass einem gesunden Körper ein gesunder Geist innewohnt. Das „Mädchen mit Ball“ passt nur allzu gut in die Umgebung eines auf Erholung und Gesundheit angelegten, wie auch dem Freizeitvergnügen dienenden Stadtpark.
Station 10: Mädchen mit Apfel, Künstlerin: Christa Sammler (*1932)
Standort: Nibelungenpark, Zugang Dietlindestraße, "Mädchen mit Apfel", Künstlerin: Christa Sammler (*1932), Datierung: 1961, Material: Bronze
Unbefangen hält das Mädchen einen Apfel in der linken Hand. Ihr Mund ist leicht geöffnet und jeden Moment scheint sie in den Apfel beißen zu wollen. Doch warum zögert sie? Das sommerlich wirkende Kleid und die nackten Füße vermitteln eine unbefangene Szenerie. Das Motiv passt nur allzu gut zum Aufstellort, denn die Bildhauerin Christa Sammler setzt sich in dieser Plastik mit dem Freizeit-Sujet auseinander, das häufig bei Kunstwerken in Parks oder Freiflächen in Wohngebieten anzutreffen ist. Mit sparsamen Mitteln gestaltete Sammler eine realistische Plastik „wie aus dem Leben gegriffen“ mit einem sicheren Formgeühl für den menschlichen Körper. Die Dreieckskomposition sorgt für Ausgeglichenheit, Stabilität und Harmonie im Aufvbau. Darin lässt sich Sammlers Studium der Bildhauerei bei Walter Arnold und Gustav Seitz in den 1950er-Jahren erkennen – wichtige Vertreter der realistischen Plastik in der DDR. Das „Mädchen mit Apfel“ zählt zu den Hauptwerken der Künstlerin und wurde auf zahlreichen Kunstausstellungen gezeigt. Die Darstellung wirkt eigentlich banal und vielleicht versteckt Sammler im gewählten Motiv eine Symbolik, die über das Freizeitmotiv hinausgeht. Das Zögern vor dem Biss könnte als ein kurzes Innehalten einer jungen Frau verstanden werden oder wirklich als ein letztes Zögern Evas, bevor sie die Ursünde der Menschheit begeht.
Station 11: Frau, Künstler: Karl Lemke (1924–2016)
Standort: Rosenfelder Ring 15, vor Ärztehaus/Grünfläche, "Frau", Künstler: Karl Lemke (1924–2016), Datierung: 1975, Material: Bronze
Eindrucksvoll und selbstbewusst tritt „Frau“ den Betrachtenden entgegen. Die überlebensgroße Ausührung und die leicht erhöhte Position verstärken noch diesen Eindruck. Eine kräftige Statur und ein sicherer, nach vorn gerichteter Blick sind ihr eigen. Die stämmigen Füße verleihen ihr Bodenständigkeit. Durch den leichten Kontrapost entsteht der Eindruck einer Bewegungshaltung – ein seit der klassischen Antike angewendetes Stilmittel zur Erzeugung von Harmonie. Die griffgen Hände demonstrieren die einer tatkräftig zupackenden Frau. Das rundliche und glatte Gesicht mit dem schmalen Mund strahlt Jugendlichkeit aus. Die Kurzhaarfrisur bildet einen kunstvollen Rahmen für das Gesicht. Eigentlich erinnert die „Frau“ an die in den 1950er-Jahren verbreiteten Darstellungen von Aufbauhelferinnen und Trümmerfrauen. Doch scheint Lemke jenen Typus auf ein Frauenbild der 1970er-Jahre übertragen zu haben. Das Auftreten dieser Frau wirkt folglich viel leichter, als hätte sie die Schwere der Aufbaujahre abgelegt. Was bleibt, ist ihre Stärke und ein sicheres Aufreten. Darin zeigt sich ein weiteres Charakteristikum DDR-typischer Frauenbilder: das der emanzipierten sowie selbstbewusst denkenden und handelnden Frau.
Station 12: Spree und Havel, Künstler: Dietrich Grünig (1940–2020)
Standort: Erich-Kurz-Straße 11–13, "Spree und Havel", Künstler: Dietrich Grünig (1940–2020), Datierung: 1980–1982, Material: Bronze
Bei Spandau tri die Spree auf die Havel. In Lichtenberg symbolisiert ein Stadtbrunnen diese Liaison. Teils sitzend, teils waagerecht schwebend werden zwei Frauen vom Wasser umspült. Diese Personifikationen der Flüsse sind in entgegengesetzter Richtung dargestellt, denn auch ihre Quellen ergeben unterschiedliche Fließrichtungen, dennoch werden sie zu einer Einheit an diesem Ort. Was beim Zusammenfluss für die Eine ein Genuss zu sein scheint, ist ür die Andere unerwartet aufregend. Dies offenbart sich auch in den Gesichtern bis hin zu ihren Frisuren. Mit dieser Art der künstlerischen Umsetzung des Themas folgt Dietrich Grünig einem seit der Antike gängigen Prinzip der allegorischen Darstellung von Flüssen durch Frauengestalten. Die naturnah ausgebildeten, jungen, anmutig und zugleich sportlich wirkenden Körper spielen wohl auf die natürliche Kraft und Frische der Gewässer an. Das fließende Wasser, welches hier aus dem kegelörmigen Wasserspeier in das achteckige Becken fließt, dient den zwei Plastiken und den Betrachtenden als belebendes und doch beruhigendes Element zugleich. Die Ausgestaltung von Wohnvierteln und Fußgängerzonen mit Werken der Bildenden Kunst oder Brunnen ist kennzeichnend für den Städtebau der DDR. Grünig hat ür dieses Umfeld nicht nur ein Kunstwerk zur Belebung des öffentlichen Raumes geschaffen, sondern einen Gesamtbezug zur Stadt Berlin hergestellt.